Wie können Gottesdienste gestaltet werden, die die Gemeinde aufbauen und mehr Menschen ansprechen? Eine Tagung in Zürich sichtete neue Ansätze und Experimente, fragte aber auch nach dem Lerneffekt durch Migrationsgemeinden. Gemeinden sollen mit kirchendistanzierten Menschen wachsen, Kirche sucht nach neuer Gestalt in Stadt und Region.
Berichte
Nicht andere Formen oder originelle Ideen werden die Kirche in der Postmoderne retten. Vielmehr ist das Evangelium neuartig zu denken und zu leben. Dies sagte Pfr. Alex Kurz am 7. November 2009 an der Tagung in Zürich. Kirchen werden laut Kurz von aussen anders gelesen, als sie sich selbst verstehen. Anderseits vergeistlichen sie den Markt - ähnlich verhängnisvoll. Denn dann wird Kirche entsprechend Kundenbedürfnissen gestaltet; es entstehen „Gleichgesinntenvereine ohne Ausstrahlung nach aussen“.
Der Thurgauer Kirchenratspräsident Wilfried Bührer hofft, dass die Kirche „eine Instanz für die Gesamtgesellschaft“ bleibt. Dafür „braucht es einen Mentalitätswandel, der nicht so leicht herbeizuführen ist: vom Gewohnten zum bewussten Ja, den Glauben leben zu wollen, auch in einer Minderheitensituation.“
Viele Religionen – eine Wahrheit? Auf einen Nenner lassen sich Religionen nicht bringen, und wer den Anspruch einer Religion relativiert, verfehlt ihr Wesen. Am 6. Juni 2009 fragte das LKF in Bern nach dem Woher und dem Wie des interreligiösen Dialogs. Heinzpeter Hempelmann bezeichnete das pluralistische Verständnis von Religionen als intolerant: Es schliesse den Offenbarungs-Anspruch u.a. des Christentums ungeprüft aus.
In der Pluralität haben Christen indes die Chance und Aufgabe, die Wirklichkeit von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen zu bezeugen. Shafique Keshavjee betonte: Ob die Wahrheit allein in der eigenen, in mehreren oder allen Religionen oder jenseits von ihnen gesehen wird – immer wird etwas absolut gesetzt, kommt es zu Einschluss und Ausgrenzung.
Die Besetzung der Zürcher Predigerkirche durch Sans Papiers vor Weihnachten 2008 machte bewusst, dass die Schweizer Reformierten während des Jahres wenig Schlagzeilen gemacht hatten. Die kreativsten Farbtupfer setzten die Basler Reformierten mit ihrer credo-Kampagne. Mehrere reformierte Kirchen beschäftigten sich intensiv mit ihren Strukturen.
„Eine evangelische Kirche hat vom Evangelium auszugehen und zum Evangelium zurückzukehren.“ Der Basler Kirchenratspräsident Lukas Kundert schilderte dem LKF am 8. November 2008 die Kampagne credo 08, welche Volkskirche im urbanen Umfeld neu positioniert.
Gellert-Pfarrer Roger Rohner berichtete von seiner Gemeinde, wo „Menschen begeistert miteinander feiern und aneinander Anteil nehmen“. Mission sei ein „biblisches Muss auch für landeskirchliche Gemeinden“. Rohner zitierte Martin Luther: „Gottes Wort kann nicht ohne Gottes Volk sein.“ Am Nachmittag stellten sich neun Gemeinschaften, Diakonissen- und Gebetshäuser vor.
Wie entgehen reformierte Kirchen der Beliebigkeit – und andererseits der Versuchung, sich durch Abgrenzung zu definieren? Am 7. Juni 2008 thematisierte das LKF in Bern das Selbstverständnis der Reformierten und die Grundlagen, die der Genfer Reformator Jean Calvin dafür bereitstellte. Die Ökumene-Beauftragten der Zürcher und der Waadtländer Kirche, Peter Dettwiler und Martin Hoegger, blickten hinter die reformierten Fassaden.
Die Vielfalt der Kirchen mache dann Sinn, wenn sie ihre je eigenen Akzente im Blick auf die gemeinsame Berufung einsetzten, sagte Dettwiler. Calvin habe, so Hoegger, keine andere Kirche gründen, sondern der bestehenden das Hören auf das Wort Gottes, den Glauben und die herzliche Gemeinschaft der Urkirche zurückgeben wollen. Bei der Trennung, die aus der Ablehnung der Reformation durch Rom folgte, bewahrte er sich den Sinn für die Einheit der Kirche.
Im Juni wurde die neue Übersetzung der Zürcher Bibel vorgestellt. Die Deutschschweizer Freikirchen machten 2007 Schlagzeilen mit den Täufern, die im Zuge des Emmentaler Täuferjahrs porträtiert wurden. Auf Mennoniten und Neutäufer fielen freundliche Schlaglichter; manche Medien brachten die prägende Kraft ihres Glaubens zur Sprache.
Sind die Christen noch überzeugt, dass das Evangelium eine gute Nachricht ist? An der Tagung von 7. November 2007 in Zürich machte der Stuttgarter Kirchenleiter Ulrich Mack Mut, mit Evangelisation Kirche alltagsnah zu gestalten. Mack betonte, es liege „im Wesen der frohen Botschaft, dass sie hinausgerufen und laut verkündigt wird“. Jede Christin und jeder Christ solle über den Glauben nachdenken und Auskunft geben können. Denn neue Religiosität sei diffus: „Wie wird aus einem spirituellen Gefühl Glaube? Wie werden an einem Kultur-Event Interessierte Christen?“
Vier Dinge zeichnen laut Mack eine wachsende Kirche aus:sprachfähiger Glaube, einladende Gottesdienste, „Kinderstuben des Glaubens“, in denen Erwachsene das Leben mit Christus entdecken können, und Gemeinden mit klarem Profil. Zu ihrem missionarischen Auftrag beschloss das LKF eine Resolution.
„Am Anfang der Liturgie, die Menschen reformiert, sind Bettler des Geistes.“ An der Tagung am 9. Juni 2007 behandelte der Zürcher Theologe Prof. Ralph Kunz die Spannung zwischen Tradition und Pop, in die der reformierte Gottesdienst geraten ist. Kunz betonte in seinem Vortrag die Offenheit des reformierten Gottesdienstverständnisses. Für Reformierte „ist Tradition nie sakrosankt“; es gelte, Liturgien zu schaffen, die der Erneuerung des Menschen dienen. Zugleich sei nach reformiertem Stilbewusstsein angesichts von katholischen, orthodoxen und charismatischen Formen zu fragen. „Es geht um den Geist und nicht um den Buchstaben. Das Wort darf getanzt, getrommelt und gejauchzt werden im Gottesdienst. Und wir bleiben reformiert. Es darf auch georgelt, gesungen und im Kanzelton gepredigt werden.“ Drei Pfarrerinnen legten dar, wie sie Gottesdienste mit ihren Gemeindegliedern entwickeln.
In den nächsten Jahrzehnten werden sich die evangelischen Landeskirchen Deutschlands gründlich wandeln müssen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat durch einen Zukunftskongress in Wittenberg Ende Januar 2007 ihren Reformbemühungen Schub gegeben.