«Ich mache sehr viele Fehler» – und das nützt der Kirchgemeinde

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Uwe Habenicht lacht gerne. Und der Pfarrer in der Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West liebt Experimente: «Es macht nur Freude, wenn auch einmal etwas in die Hose gehen kann.» Was es braucht, damit Kirchgemeinden innovativ sind: Beziehungen vor Traktanden, Spass am Experiment und die Fähigkeit, Fehler abzuschütteln.
Von Lukas Huber

Die Kirchgemeinde Straubenzell St. Gallen West war in den letzten Jahren immer wieder in den Schlagzeilen, zum Beispiel, als eine Kanzel zersägt und in einen Abendmahlstisch verwandelt wurde. «Wir leben in einer Aufmerksamkeitsgesellschaft», begründet Pfarrer Uwe Habenicht die Aktion der Kirchgemeinde.

Hinter den Aktionen seiner Kirchgemeinde steht nicht nur die Einsicht, dass es auch Aufgabe der Kirche ist, aufzufallen, sondern die Lust, Neues auszuprobieren. Das müsse gepflegt werden: Man könne sich nicht mit Hingabe der Tradition verpflichtet fühlen und dann ganz plötzlich etwas Neues machen. Das Team seiner Kirchgemeinde pflege einen anderen Umgang mit dem Spannungsfeld Tradition und Innovation. «Jeder Gottesdienst braucht mindestens eine Ecke, wo es etwas Überraschendes gibt.»

Ganz wichtig: «schütteln»

Und wenn es nicht funktioniert? Ganz einfach: «Schütteln!», sagt Uwe Habenicht: zum Fehler stehen, überlegen, was man nächstes Mal anders macht und den Fehler abschütteln. Es hilft natürlich, wenn eine Kirchgemeinde fehlertolerant ist. «Ich mache sehr viele Fehler», bekennt Habenicht im Podcast «Aufwärts stolpern». Eine Kirchgemeinde komme gut klar mit Fehlern, wenn die Beziehungen gut sind.

Das sei auch im Team der Angestellten wichtig. Pfarrerinnen und Pfarrer hätten Mühe damit, einander zu erzählen, was nicht funktioniert. «Aber das Teilen ist entscheidend.» Als er in die Schweiz gekommen sei, habe man in der Kirchgemeinde sehr mit Traktandenlisten gearbeitet. «Mit der Zeit gelang es, dass wir bei uns anfangen: Wo stehe ich? Was beschäftigt mich?» Das schaffe den Boden, aus dem Neues wachsen kann.

Fröhlich bleiben bei der Arbeit


So könne man auch bei der Arbeit fröhlich bleiben – auch angesichts der Kirchenaustritte. Beim Bewältigen der Austritte beobachtet Habenicht eine Spannung: Ausgerechnet die «Weltmeister im Verabschieden» – gemeint sind Pfarrerinnen und Pfarrer – hätten keine Form gefunden, sinnvoll mit Austritten umzugehen. Alle blickten verschämt auf die Liste, dann werde sie wieder versorgt. «Das kann doch nicht sein, oder?» Es brauche neue Formen der rituellen Verabschiedung.

«Freestyle Religion»


Von Podcast-Co-Host Anna Näf auf sein Buch «Freestyle Religion» angesprochen betont Uwe Habenicht, es sei Aufgabe der Kirche, alle drei Formen von Religion im Blick zu behalten: Es gebe nämlich neben dem kirchgemeindlichen Christentum auch den privaten Glauben und die öffentliche religiöse Diskussion. Wenn Menschen aus der Kirche austreten, heisst das nicht zwingend, dass das Christliche und Spirituelle ganz aus ihrem Leben verschwindet. Die Kirche stehe für das Gemeinschaftliche und bleibe da auch als Kompetenzzentrum sichtbar, es gehe auch darum, neue Formen und Orte zu finden, wo Spiritualität erlebbar wird.

Die ganze Episode mit Uwe Habenicht kann man hier nachhören